OBS Rückblick – Wenn man 50….

Wenn man 50% der Bands im Vorfeld nicht kennt, eine Regenwahrscheinlichkeit von über 50 % angesagt ist und 50 % der Besucher über 50 Jahre alt sind – Ist so ein Festival den Besuch wert?

100 % – Ja! Absolut! Auf jeden Fall!
Außerdem stimmt das mit den Ü50-Leuten auch gar nicht. Das Klientel des Festivals mag zwar durchaus etwas reifer erscheinen, was aber eine angenehme Abwechslung zu dem kreischenden Ballermann-anmutenden Hurricane-Publikum ist.

Angekommen im schönen Beverungen, wird man von freundlichen Security-Mitarbeitern in Parkplätze ein- und auf Sicherheitsmaßnahmen hingewiesen und kann sich auf dem beschaulichen Zeltplatz sein Camp aufbauen. Direkt gelegen neben der Weser und einem Baggersee, ist das schon eine Art idyllischer Olymp den man da betreten darf. Auch das Festivalgelände ist liebevoll dekoriert und wie schon vorher erahnt, klein und gemütlich.

Musikalisch betrachtet, ist die Einschätzung der 50% Bands, die einigen Leuten unbekannt sind, wohl gar nicht so falsch. Befasst man sich allerdings ein wenig näher mit den Veranstaltern (Glitterhouse Records) und der Historie des Orange Blossom, dann weiß man, dass man dem Line-Up schon quasi blind Vertrauen schenken kann. Wer die Band vorher nicht kannte hat, in den meisten Fällen nach dem Konzert eine CD oder Platte in seinen kleinen, verstaubten Händchen und ist dankbar für eine solch hervorragende Selektion von Künstlern.

Am Freitag konnten wir uns leider erst zu „Hellsingland Underground“ aufs Gelände begeben, da der übliche eingerechnete Stau auf Autobahnen natürlich wieder nicht wirklich zu berechnen war. Bewusst konnten wir erst die „C-Types“ wahrnehmen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, sämtliche Soundtracks von Quentin Tarantino-Filmen zu adaptieren. Klar, die Lieder sind im Prinzip geil, Rock’n’Roll wie er Buche steht. Doch ehrlich gesagt hatte der Auftritt für mich nichts wirklich Neues und so blieb mir zumindest Zeit, das Festivalgelände auf die kulinarischen Akteure zu überprüfen (welche übrigens wirklich hervorragend waren!)

Doch der Freitag sollte einen des Festivals an sich sehr würdigen Abschluss bekommen: „Golden Kanine“! Mit Pauken und Trompeten verziert, erschufen sie wunderschöne eingängige Melodien. Mal wurde es etwas mächtiger, dann wieder bedächtig. Für mich eine der schönsten Entdeckungen des Festivals, wobei man da in einem Atemzug auch „The Great Bertholinys“ nennen kann. Denn diese unterstützten am Freitag „Golden Kanine“ mit Bläsern und waren am Samstag selbst auch nochmal auf der Bühne. Ebenfalls ein „Fund“ für den ich sehr dankbar bin.

Ausgeschlafen – denn auf dem Zeltplatz herrscht nachts Ruhe wie auf einer Konfirmandenfreizeit – begab man sich am Samstagmorgen zu dem vorher viel diskutierten Überraschungsact. Meine Camp-Kumpanen gaben unrealistische Tipps wie „Wilco“ oder „Conor Oberst“ ab. Ich spottete nur. Am Ende handelte es sich um die Band „Washington“, die mich sehr positiv überrascht haben.

Ein weiteres absolutes Highlight war der Auftritt von „Dan Mangan“. Der Kanadier – der mir ausnahmsweise schon vorher bekannt war – konnte das gesamte Publikum von sich überzeugen und aus den eigentlich nur aufgerundeten 2000 Leuten, ergab sich bei seinen Versen „Robots need love too – they want to be loved by you“ ein Chor von gefühlten Zigtausenden. Dieses Gefühl hatte Dan selbst scheinbar auch, denn ein derartiges Lob für Deutsche haben sonst nur weltoffene Kenner der Currywurst für uns übrig.

Der Sonntag startete dann mit der deutschen Band „Talking to Turtles“. So harmonisch und schön wie die Songs der Truppe, gestaltete sich auch das Miteinander auf der Bühne. Meine Güte, hatten die sich alle lieb. Die können definitiv keiner Fliege etwas zu Leide tun, ich war sichtlich gerührt. Spektakulär dann der Auftritt von „Tamikrest“ aus Mali. Vermummte Menschen schlichen sich zuhauf auf die Bühne – ich war sichtlich irritiert! Doch dann ließ die kunterbunt gemischte Truppe alle Hippie-Herzen höher schlagen und lieferte eine tolle Show ab. Der Sound dieser Band ist einmalig, genauso wie ihr Gesang und die jodelnde Frontfrau. Sowas sieht man einfach nicht häufig und deswegen war ich – man ahnt es schon – sichtlich beeindruckt!

Dieser Nachmittag war nur von Hochkarätern gespickt, mein persönliches Highlight erlebte ich dann bei „Madison Violet“. Zwei derartig witzige, unterhaltsame und zugleich musikalische Frauen (auch aus Kanada) durfte ich selber noch nie erleben und auch die Lieder über Liebe, Heimat und Katastrophen schreien nach dem Prädikat: Wunderschön!

Den Abschluss fand das Festival mit der Band „Holmes“ aus Schweden. Zurecht wurden diese Band auf den letzten Königsplatz gesetzt, denn sie schufen diese Momente, für die man Festivals so liebt. Man möchte dann einfach nicht mehr gehen und solche Augenblicke am liebsten konservieren.

Es war für uns das erste Orange Blossom, aber definitiv nicht das Letzte. Das werden sich bloß aber mittlerweile einige Leute denken, deswegen versteh ich nun auch, warum dieses Festival so schnell ausverkauft ist. Denn der Charme von der heimeligen, familiären Atmosphäre darf nicht Flöten gehen.

Das OBS ist definitiv eine der letzten Bastionen der Festivalkultur in Deutschland, bei der den Liebhabern der Indepedent-Musik jedes Jahr das Herz aufgeht. Und am Ende ist dann wohl jeder Einzelne – sichtlich überwältigt.

www.orangeblossomspecial.de

www.glitterhouse.com

 

Schreibe einen Kommentar